Ein Pärchen macht Urlaub und bekommt sich in die Haare. In einem Satz zusammengefasst klingt die Handlung von „Alle Anderen“ zunächst einmal wenig spektakulär und es gilt zu fragen: Was ist das Besondere an dieser Alltagsgeschichte, die schon so oft zu sehen war und von vielen persönlich erlebt wurde? Männer sind anders. Frauen auch. Das weiß mittlerweile jedes Kind. Aber Maren Ades Beziehungsdrama ist ebenfalls anders. Es ist nämlich wesentlich subtiler als vergleichbare Filme und kann darüber hinaus mit sehr starken Darstellern aufwarten. Auf der Berlinale 2009 war „Alle Anderen“ deswegen auch ein Kritiker- und Zuschauerliebling und Birgit Minichmayr gewann zu Recht den Silbernen Bären als beste Darstellerin.
Das Paar Gitti (Birgit Minichmayr) und Chris (Lars Eidinger) verbringt einen gemeinsamen Urlaub auf Sardinien. Die PR-Beraterin und der Architekt haben aber unterschiedliche Vorstellungen von der Reise und auch vom Leben. Die offene Gitti, die sich Kinder wünscht, liebt ihren Freund sehr – und zeigt das auch. Der verschlossene Chris, der am Sinn seiner Arbeit zweifelt und unter seiner beruflichen Erfolglosigkeit leidet, reagiert oft gereizt auf die Lockerheit seiner Freundin. Doch sie schlagen sich so durch, vor allem Gitti versucht sich anzupassen. Als die beiden ein befreundetes Pärchen (Hans-Jochen Wagner, Nicole Marischka) treffen, gerät die Beziehung ins Wanken.
„Ich wollte einen Film machen über das verworrene, einzigartige Gebilde, das zwei Menschen ergeben, wenn sie eine Liebesbeziehung führen. Die Hauptfigur sollte ein Paar sein und keine einzelne Person.“ (Maren Ade)
Architektur und Public Relations: Schon die Berufsfelder der beiden Protagonisten erweisen sich als Hinweise auf die Probleme, die Maren Ade in ihrer existenzialistischen Erzählung anspricht. In solchen Details wirkt ihr Film gelegentlich zu geplant und auf eine bestimmte Bedeutung hin konstruiert. So schrammt die Zeichnung der Figur des Chris mitunter nur haarscharf an Männerklischees vorbei. Doch das ist schon der einzige ernsthafte Kritikpunkt an „Alle Anderen“, denn die noch junge, sehr talentierte Maren Ade (Der Wald vor lauter Bäumen) ist eine sehr gute Beobachterin der Normalität und zeichnet ein insgesamt äußerst stimmiges Doppelporträt. So ganz genau lässt sich nicht feststellen, was Gitti oder der selbstbezogene Chris wirklich wollen, doch es ist zu spüren, dass es unterschiedliche Dinge sein müssen. Da ist der Abend, an dem Gitti gerne noch tanzen gehen möchte, Chris sich aber weigert. Fast entsteht der Eindruck, er tut dies aus Prinzip und lehnt den Vorschlag nur ab, um seinen Kopf durchzusetzen. Auch bei einer längeren Wanderung, bei der Gitti ihren Partner mit einem Picknick überraschen will, tun sich Abgründe zwischen den beiden auf. Diese und viele weitere Szenen sind extrem stark gespielt und besitzen in ihrer Authentizität und Nachvollziehbarkeit eine unglaubliche Kraft.
Filmstarts-Interview mit Birgit Minichmayr
Wer sich schon lange einmal eine intelligente Auseinandersetzung mit den Unterschieden zwischen den Geschlechtern gewünscht hat, ist bei „Alle Anderen“ genau an der richtigen Adresse. Ades Beziehungsdrama ist ein gutes Stück von John Grays Ratgeber „Männer sind vom Mars. Frauen von der Venus“ und sogar meilenweit von plakativen Filmen wie Der Fischer und seine Frau oder Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken entfernt. Die Regisseurin verzichtet darauf, dem Zuschauer alles vorzukauen und auf die Nase zu binden. Sie entwickelt die Figuren aus den Alltagssituationen heraus und stellt diese nicht künstlich in den Dienst einer vorformulierten Botschaft. Die Szenen der Zweisamkeit wirken ganz natürlich, gerade dadurch wird der Blick für die unterschiedlichen Lebensstile und -wünsche von Gitti und Chris geöffnet. Ade hält die Deutung vieler Situationen in der Schwebe, auch die Frage, inwieweit die Probleme geschlechtsspezifisch zu erklären sind, kann jeder Betrachter für sich beantworten. „Ich wollte keinen Film über eine Trennung machen, sondern über eine Krise“, so die Regisseurin und Autorin. Folgerichtig lässt Ade auch den Schluss auf raffinierte Weise offen und schafft damit gleich noch eines der denkwürdigsten Filmenden der letzten Zeit.
Das Spiel von Birgit Minichmayr (Der Knochenmann, Der Untergang, Liegen lernen) und dem überwiegend aus dem TV bekannten Lars Eidinger (Torpedo) ist ganz dieser Offenheit verpflichtet. Vor allem Minichmayr liefert als Gitti eine der stärksten Vorstellungen ihrer Karriere und erschafft eine absolut glaubhafte Figur. Eine ziemlich schwere Aufgabe hat Eidinger zu bewältigen, denn Chris wirkt im Kontrast zur sympathischen Gitti manchmal regelrecht fies. Doch der Schauspieler wirft sein ganzes Charisma in die Rolle und es gelingt ihm, Verständnis für seine Figur zu wecken. Gitti und Chris stehen ganz klar im Zentrum von „Alle Anderen“, trotzdem können sich auch die Darsteller des befreundeten Pärchens Hans und Sana, Hans-Jochen Wagner (Montag kommen die Fenster) und Nicole Marischka (Sommer ‘04), mit überzeugenden Porträts profilieren.
Filmstarts-Interview mit Regisseurin Maren Ade
Fazit: Mit leichtem Humor aber auch unerbittlicher Konsequenz erzählt Maren Ade in „Alle Anderen“ von den Konflikten und Sehnsüchten eines Paares. Sie geht so geschickt mit ihrem Thema um, dass der Zuschauer zum Schluss nicht einmal sicher sein kann, ob er gerade ein tieftrauriges Drama über eine zerfallende Beziehung oder eine im Kern romantische Geschichte über eine Liebe, die allen Widerständen trotzt, gesehen hat. Genauso müssen gute Beziehungsfilme sein.