Kaum zu glauben, aber der 1944 gedrehte "Frau ohne Gewissen" im Original "Double Indemnity" war erst Billy Wilders vierte Regiearbeit. Die düstere Kriminalgeschichte markierte nicht nur Wilders persönlichen künstlerischen Durchbruch, sondern gilt vielen auch als der erste echte Film Noir. Zwar waren schon seit Anfang der 40er Filme gedreht worden, die heute der Schwarzen Serie zugerechnet werden, zum Beispiel John Hustons berühmter "Die Spur des Falken", doch erst "Frau ohne Gewissen" enthielt alle Merkmale, die das Genre bis heute definieren. Lange galt die auf einem Roman des "Hardboild"-Autors James M. Cain basierende Geschichte unverfilmbar, zu zynisch und unmoralisch wirkten die Figuren. Erst Billy Wilder wagte es den Stoff gegen alle Widerstände auf die große Leinwand zu bringen und drehte das erste seiner vielen Meisterwerke.
"Frau ohne Gewissen" erzählt die Geschichte des Versicherungsvertreters Walter Neff (Fred MacMurray), der der Femme Fatale Phyllis Dietrichson (Barbara Stanwyck) verfällt. Ohne das Wissen ihres Mannes schließt sie eine Lebensversicherung in seinem Namen ab, mit dem Plan ihn zu ermorden und die Versicherungssumme zu kassieren. Erzählt wird die Geschichte als lange Rückblende, die das Geständnis des sterbenden Walter Neffs bebildert.
Nicht nur die Struktur der Erzählung wurde zum typischen Muster des Film Noirs, auch die geschliffenen, zynisch-pointierten Dialoge waren für die damalige Zeit revolutionär. Das Drehbuch hatte Wilder zusammen mit dem "Hardboild"-Autor Raymond Chandler geschrieben, eine zwar schwierige, aber äußerst fruchtbare Zusammenarbeit. Wilder hatte zuvor zwar in erster Linie Komödien gedreht und geschrieben, doch gerade die Mischung aus an Screwballkomödien erinnernden Wortwechseln und dem zynischen Weltschmerz eines Chandlers, sorgte für die unverwechselbare Qualität der Dialoge. Das Ergebnis waren Wortgefechte voller Biss, Ironie, und vor allem sexueller Anspielungen, die mit schlüpfrigen Andeutungen die damals herrschende Zensur unterliefen. Ähnliches gelang ihm auch mit solchen Schnittfolgen: Walter und Phyllis sitzen zusammen auf der Couch. Schnitt zu dem gerade sein Geständnis machenden Walter. Schnitt zurück zur Couch. Allerdings haben sie zwischenzeitlich ihre Positionen gewechselt: Walter raucht jetzt eine Zigarette, während Phyllis ihr Make Up auffrischt...
Das Zentrum des Films ist ohne Frage die "Frau ohne Gewissen", die in Barbara Stanwyck ikonischer Darstellung zum Sinnbild der Femme fatale wurde. Sexy, zielstrebig, manipulativ und skrupellos ist ihre Phyllis, die es mit Leichtigkeit schafft, den sich anfangs noch hart gebenden Walter um den Finger zu wickeln und für ihre mörderischen Pläne einzuspannen. So eine starke Frau hatte es im amerikanischen Kino bis dato noch nicht gegeben, das wieder einmal der Realität hinterherhinkte. Der Zweite Weltkrieg hatte dazu geführt, dass die an der Heimatfront zurückgebliebenen Frauen all die Aufgaben übernahmen, die einst von ihren Männern ausgeführt wurden. Ein neu gewonnenes Selbstvertrauen, das sich nun auch im Kino zeigte. Zumindest für einige Jahre, denn mit der Rückkehr der Soldaten nach Ende des Krieges, wurden die meisten Frauen wieder hinter den heimischen Herd verbannt. Dieses emanzipierte, moderne Frauenbild, das in vielen Film Noirs zu beobachten ist, dürfte einer der Gründe für die zeitlose Faszination dieses Genres sein. Und wie kaum eine andere Schauspielerin verkörpert Barbara Stanwyck diese Qualität.
Doch nicht nur die Femme fatale war ein Novum. Auch die Figur Walter Neffs, ein offensichtlich der Frau unterleger Mann, entsprach keineswegs der Norm. Zumal Wilder den Zuschauer dazu nötigte, sich mit Verbrechern zu identifizieren. Und nicht nur das: So verführerisch wird das mörderische Paar inszeniert, dass man sich als Zuschauer immer wieder bei dem Wunsch ertappt, ihr Plan möge gelingen. Allein die Erzählstruktur, die von Anfang an klar macht, dass Walter stirbt, also für seine Untaten bestraft wird, erlaubten es den moralisch prüden Zensoren Nachsicht walten zu lassen. Interessant, neu und emblematisch für den Film Noir ist nun aber, dass nicht etwa das funktionierende Rechtssystem des Staates für die Bestrafung der Verbrecher sorgt, sondern tragische Verwicklungen oder, anders ausgedrückt: Der Zufall. Keine idealisierte Traumwelt zeigt der Film Noir, sondern eine düstere, realistische Welt.
Auch optisch deuten Billy Wilder und sein Kameramann John F. Seitz die menschlichen Abgründe, die sich unter der oberflächlich heilen Welt verbergen, an. Als Walter zum ersten Mal das Anwesen der Dietrichsons betritt wechselt die Lichtgebung von strahlendem kalifornischen Sonnenschein zu düsteren Schattenspielen. Die für Hollywood typische, perfekte Ausleuchtung wird durch an den deutschen Expressionismus angelehntes Licht abgelöst. Je mehr sich die Handlung zur Tragödie entwickelt, desto enger und dunkler werden die Räume, bis man in manchen Einstellungen Walter und Phyllis nur noch schemenhaft erkennt. Selbst bei Tage zeigt sich dieses Gefangensein durch die ständigen Schatten, die auf den Protagonisten liegen.
Fazit: Billy Wilders "Frau ohne Gewissen" wird nicht ohne Grund als Paradebeispiel des Film Noirs bezeichnet. Von der Geschichte, über die Lichtsetzung, bis zu Barbara Stanwycks idealtypischer Darstellung einer emanzipierten Frau, verbindet Wilders Film auf brillante Weise alle Elemente, die den Film Noir auszeichnen. Ein absolut zeitloses Meisterwerk.