Aus. Vorbei. Schluss mit Bond. Nachdem das Erfolgsduo Broccoli/Saltzman Sean Connery für Diamantenfieber ein letztes Mal überreden konnte, in den maßgeschneiderten Smoking zu schlüpfen, musste es sich für das achte James-Bond-Abenteuer „Leben und sterben lassen“ wohl oder übel nach einem neuen Hauptdarsteller umsehen. Connery hatte keine Lust mehr. Die beiden gingen nach der kommerziellen Lazenby-Bruchlandung auf Nummer sicher, setzen Goldfinger-Regisseur Guy Hamilton erneut auf den Regiestuhl und verpflichten den erfahrenen Roger Moore, der unter anderem den Vorzug vor Burt Reynolds und Paul Newman erhielt. Der erste waschechte Engländer in der Rolle des 007 war 1973 beim Publikum dank der populären TV-Serien „Simon Templar“ und „Die Zwei“ bereits etabliert. Neben dem glänzend aufgelegten Briten garantieren ein vor guten Einfällen nur so sprühendes Drehbuch, ein starker Score und eine überaus skurrile Schar an Bösewichten kurzweiligen 007-Spaß, der kleinere Plotschwächen und unangenehm aufstoßende Besetzungstendenzen geschickt kaschiert.
In New York, New Orleans und auf der Karibikinsel San Monique kommen binnen kürzester Zeit drei britische Agenten ums Leben. Der Geheimdienst Ihrer Majestät setzt seinen besten Agenten auf den Fall an: James Bond (Roger Moore), der sich sogleich aufmacht, an der Seite seines CIA-Kollegen Felix Leiter (David Hedison, Lizenz zum Töten) im Big Apple ein wenig auf den Busch zu klopfen. Die Spur führt zum Diplomaten Dr. Kananga (Yaphet Kotto, Alien), der gemeinsam mit dem Boss der Harlemer Unterwelt, Mr. Big, Drogengeschäfte im ganz großen Stil plant. Als 007 gemeinsam mit der ungeschickten CIA-Kollegin Rosie Carver (Gloria Hendry, Absolute Evil) Kanangas Domizil ausmacht und mit dessen Medium Solitaire (Jane Seymour, Die Hochzeits-Crasher) durchbrennt, macht der Agent unliebsame Bekanntschaft mit Kanangas hünenhafter Leibwache Tee Hee (Julius Harris, Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 123), dem finsteren Voodoo-Baron Samedi (Geoffrey Holder, Charlie und die Schokoladenfabrik) und zahlreichen gefräßigen Krokodilen…
Eines war bereits vor den Dreharbeiten zu „Leben und sterben lassen“ gewiss: Eine bloße Nachahmung von Connerys Bond-Version wäre zum kommerziellen Scheitern verurteilt gewesen – dies hatte der Kassenflop Im Geheimdienst Ihrer Majestät bereits gezeigt. Darum versuchen die 007-Macher auch gar nicht erst, eine Kopie auf die Leinwand zu bringen. Stattdessen variieren sie zahlreiche Markenzeichen: Bond raucht demonstrativ Zigarre statt Zigarette, trinkt Bourbon statt Wodka Martini und bekommt die Kult gewordenen Gadgets in „Leben und sterben lassen“ nicht einmal von Q persönlich überreicht (natürlich leistet ihm seine Armbanduhr trotzdem wertvolle Dienste). Statt im Casino beim Kartenspiel sein Glück zu versuchen, hilft er diesem lieber beim Kartenlegen mit der jungfräulichen Wahrsagerin Solitaire auf die Sprünge. Die neckischen Provokationen bei der ersten Begegnung mit dem bezaubernden Bond-Girl läuten die humorvollere Neuausrichtung der 007-Reihe ein, die sich in Roger Moore (In tödlicher Mission, Auf dem Highway ist die Hölle los) personifiziert.
Moore ist bereits bei seinem Debüt sehr darauf bedacht, seine Vorgänger nicht zu imitieren, sondern seine eigene Interpretation auf die Leinwand zu bringen. Er ergänzt Bond um eine bis dato wenig ausgeprägte Selbstironie, die dem mit zahlreichen Stunts und Totalschäden angereicherten Drehbuch ein sympathisches Augenzwinkern aufdrückt. Anders als im späteren Klamaukgipfel Octopussy ist die Mischung aus Slapstick, Britishness und schwarzem Humor hier noch ausgewogen dosiert. Eingefleischten Connery-Anhängern dürfte die Actionthriller-Komödie aber spätestens bei Bonds Flugstunden-Intermezzo mit Mrs. Bell (Ruth Kempf) gehörige Magenschmerzen bereiten. Einen faden Beigeschmack hinterlässt auch die Entscheidung der Produzenten, sämtliche Schurken dunkelhäutig zu besetzen, während Bond eine Schönheit im weißen Kleid aus den Händen wilder Dorfbewohner befreien muss. In dieses zweifelhafte Schema passt auch die ungeschickte CIA-Kollegin Rosie Carver, deren falsches Spiel das erwartet frühe Ende findet.
Die übernatürlich anmutenden Kreaturen, die sich dem Agenten in „Leben und sterben lassen“ in den Weg stellen, sind kaum mehr vergleichbar mit dem schlichten Killertypus vergangener 007-Tage. Tee Hee trägt zwar nicht das Stahlgebiss eines Jaws (Der Spion, der mich liebte, Moonraker), dafür aber einen tödlichen Zangenarm, mit dem er in Uri-Geller-Manier problemlos Metall verbiegt. Und der schaurige Baron Samedi, der das fiktive Eiland San Monique mit gruselig inszeniertem Voodoo-Zauber vor neugierigen Besuchern schützt, sorgt dank diabolischer Lache immer wieder für magische Gänsehautmomente. Oberschurke Kananga, dessen Bezug zu Mr. Big ( „Namen sind was für Grabsteine, Baby!“) angenehm spät aufgelöst wird, hat gegenüber seinen furchterregenden Handlangern folglich einen schweren Stand. Sein eigenwilliger Plan, den Heroinmarkt mit Gratisproben zu überschwemmen, wirkt im Vergleich zu seinen größenwahnsinnigen Kollegen Blofeld oder Drax geradezu bescheiden. Clifton James (The Untouchables) als vom Pech verfolgter Sergeant Pepper bleibt weitaus nachhaltiger in Erinnerung als der Bösewicht und durfte deswegen im Nachfolger Der Mann mit dem goldenen Colt auch ein zweites Mal als Sidekick ins Geschehen eingreifen.
Der Spannungsbogen verläuft im Bond‘schen Sinne klassisch und wird durch George Martins‘ großartigen Score immer wieder gezielt betont. Die mächtigen Akkorde und das treibende Hauptthema des Titelsongs von Paul McCartney, der Maurice Binders Titelsequenz zu einer der stärksten der 007-Reihe veredelt, werden dabei gekonnt integriert. Die Verfolgungsjagden zu Land und Wasser glänzen nicht nur mit atemberaubendem Tempo, sondern auch mit eingestreuten Gags, die Schnellboote schon mal im Swimmingpool oder in einer Hochzeitstorte landen lassen. Für Bond-Fans bietet „Leben und sterben lassen“ darüber hinaus zwei ganz besondere Schmankerl: Der Zuschauer erhascht zu Beginn einen seltenen Blick in das luxuriöse Eigenheim seines ansonsten stets aus dem Koffer lebenden Helden. Und wer sich noch an Bootsmann Quarrel aus Dr. No erinnert, der dürfte bei der Überfahrt nach San Monique ein Déjà-vu erleben…