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    Aggro Dr1ft
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Aggro Dr1ft

    Vielleicht ist das noch nicht mal ein Film!

    Von Björn Becher

    Ich glaube nicht, dass es so etwas schon einmal gegeben hat. Ich denke nicht, dass ich jemals so etwas gemacht habe. Ich weiß nicht, ob so etwas überhaupt jemals existiert hat. Wir haben versucht, keinen Film zu machen, also ist es vielleicht nicht einmal ein Film.“ So beschreibt Harmony Korine selbst sein neues Werk „Aggro Dr1ft“, dass seiner Ansicht nach eh „mehr wie ein Videospiel“ sei. Und tatsächlich fühlt man sich an ein Konsolenspiel erinnert, wegen der Gangster-Thematik und dem Coolness-Gehabe wohl am ehesten an „GTA“ – allerdings lange vor der Fertigstellung in einer ganz, ganz frühen Alpha-Version.

    Der „Spring Breakers“-Regisseur hat komplett mit thermischer Infrarot-Fotografie gedreht. „Aggro Dr1ft“ besteht deshalb komplett aus Bildern, wie man sie von Wärmebildkameras kennt: Heiße Stellen flirren rot, kalte blau – und dazwischen verschwimmen die weiteren Abstufungen. Die Aufnahmen wurden von Korine zusätzlich digital verfremdet – da wachsen Figuren auch schon mal Dämonenflügel, während ihre Innereien aus mechanischen Konstrukten zu bestehen scheinen. Auch der an den Videospiel-Diablo erinnernde Teufel ist ein ständiger Begleiter. Mit derart experimentellen Bildern, hämmernden Elektro-Sounds, praktisch keiner Story sowie sich wiederholenden, durch einen Stimmen-Modifikator gejagten Trivial-Monologen ist „Aggro Dr1ft“ eine Herausforderung, die viele an ihre Geduldsgrenze bringen wird.

    Ja, so sieht tatsächlich der komplette Film aus!

    Zumindest bei der Pressevorführung im Vorfeld zur Weltpremiere auf den 80. Filmfestspielen von Venedig 2023 verließen viele schnell wieder das Kino, als immer klarer wurde, dass da nichts anderes mehr kommen und keine konventionelle Geschichte mehr erzählt werden wird. Stattdessen sehen wir vor allem, wie der Killer Bo (Jordi Mollà) mit seinem Sportwagen durch die Straßen fährt, in einem Motorboot übers Wasser dümpelt oder einfach nur irgendwo langläuft. Er soll einen buchstäblich dämonischen Gangsterboss ausschalten, denkt vorher aber noch ein wenig an die geliebte Familie zu Hause, wenn er nicht gerade noch Nachwuchskiller Zion (Travis Scott) ein paar (banale) Lebensweisheiten mit auf den Weg gibt.

    Immer wieder deutet sich dabei an, dass nun etwas passieren könnte, doch am Ende geht es trotzdem nur im selben Trott weiter. Oft ist das anstrengend, wenn drei, vier oder sogar fünf Mal dieselben Plattitüden über Töten, Liebe oder Familie in den stimmverfremdeten Monologen aus dem Off wiederholt werden, während der laute Sound wummert und man sich angestrengt zusammenreimt, wer hier wohl gerade neben Bo noch zu sehen sein könnte. Hin und wieder hat es aber auch eine absurde Komik, wenn etwa der nicht nur aufgrund des roten Infrarotbilds an einen dicken Deadpool erinnernde Bösewicht urplötzlich zu einer Tanznummer ansetzt und dabei mit seiner grotesk verzerrten Stimme immer nur „Dance Bitches, Dance For Daddy“ wiederholt (zumal er scheinbar nicht so recht weiß, wie er seine zwei Schwerter bei den Bewegungen inmitten seiner in Käfigen gehaltenen Bikini-Schönheiten am besten halten sollte, ohne sich selbst aufzustechen).

    Kein zweiter "Circus Maximus"

    Zu selten gelingen „Aggro Dr1ft“ solch faszinierende Ausbrüche aus dem schrill-bummernden Einerlei. Wer sich auf den Film zum Beispiel aufgrund der bereits zweiten Kooperation zwischen Regisseur Harmony Korine und Rapper Travis Scott freut, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit enttäuscht werden. Auch Scotts „Circus Maximus“ ist ein sperriger, schwer zugänglicher Experimentalfilm, zu dem neben Korine auch noch Regisseure wie Gaspar Noé („Irreversibel“) oder Nicolas Winding Refn („Drive“) faszinierende Bilder beitrugen.

    Doch in „Circus Maximus“ laden diese Bilder zu einer tieferen Auseinandersetzung ein: So erweist sich gerade das recht konventionell von Korine inszenierte Gespräch von Rapper Scott mit Musikproduzentenlegende Rick Rubin als interessant-vielschichtige Auseinandersetzung des Künstlers mit seiner Verantwortung für den Tod zahlreicher Menschen bei einem seiner Konzerte. Bei „Aggro Dr1ft“ fällt es ungleich schwerer, hier mehr als nur die auf krude Art reizvollen, aber doch allein durch die Infratot-Farbgestaltung sehr ähnlichen Bilder zu sehen – zumal sich die visuellen Spielereien mit mechanischen Innereien oder tanzenden Totenkopf-Tattoos schnell abnutzen.

    Nur ein einziger Dialog stiftet Sinn

    Immerhin beinhaltet der kurze Gastauftritt von Rapper Travis Scott so etwas wie den einzigen tieferen Dialog des Films, in dem es um etwas von Bedeutung zu gehen scheint. Sogar ein Witz rund um Julius Caesar und die Bibel ist hier untergebracht. Doch wer glaubt, dass diese plötzliche Unterhaltung dazu dient, nun eine emotionale Brücke zum großen Finale vorzubereiten, wird wieder enttäuscht. Auch hier verweigert sich „Aggro Dr1ft“ konsequent jeder Erwartungshaltung.

    Denn auch bei der finalen Konfrontation zwischen Killer und Dämon folgt keine Eruption. Stattdessen sehen wir ein weiteres Mal die immer selben Bilder und hören die immer selben Textzeilen, wenn die beiden Kontrahenten eine Ewigkeit in der Villa herumtapern und sich suchen. Erst im Anschluss an den kurzen und schmucklosen Kampf, der noch einmal klar macht, dass „Aggro Dr1ft“ garantiert nicht ins Action-Genre einzusortieren ist, zeigt sich noch einmal, warum Korines neuer Nicht-Film trotz aller Schwächen durchaus auch fasziniert: Auf eine selbst in Infrarotoptik ungemein brutalen Enthauptung folgt noch ein wunderbar-grotesker Schlusspunkt…

    Fazit: „Aggro Dr1ft“ wirkt wie ein in Videospiel-Optik gehaltene Intro zu einem super-stylischen Musikvideo – nur dass es hier eben nicht nur wenige Sekunden, sondern 80 Minuten lang so weitergeht. Das ist durchaus faszinierend, aber auch unglaublich anstrengend.

    Wir haben „Aggro Dr1ft“ beim Filmfestival Venedig 2023 gesehen, wo er außer Konkurrenz im offiziellen Programm seine Weltpremiere gefeiert hat.

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