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    Der Killer
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Der Killer

    Ein Film so präzise wie ein perfekt durchgeführter Mordanschlag

    Von Björn Becher

    Kaum jemand anderes inszeniert mit einer solchen Präzision wie David Fincher. Der zunächst mit Werbespots bekanntgewordene Meisterregisseur („Fight Club“) ist schließlich berühmt(-berüchtigt) dafür, mehr als ein Dutzend Takes jeder Szene zu drehen, um auch wirklich exakt seine Vision am Ende im Film zu haben. Es gibt Schauspieler*innen, die sich davon genervt zeigen. Andererseits ist die stetige Wiederholung der immer selben Tätigkeiten seit je her ein fester Bestandteil des Filme-Machens – wie sie auch ein fester Bestandteil des Jobs der Titelfigur aus Finchers Netflix-Original „Der Killer“ ist.

    Die sehr freie Adaption des französischen Comics „Le Tueur“ wirkt auf den ersten Blick wie ein geradliniges B-Movie über einen eigentlich eiskalt-kalkulierenden Auftragskiller, für den es plötzlich doch sehr persönlich wird. Es wird womöglich sogar Menschen geben, die Finchers neues Werk enttäuscht als ein solches abtun. Aber in den Händen von Fincher, seinem „Mank“- Kameramann Erik Messerschmidt sowie seinem „Gone Girl“-Editor Kirk Baxter wird aus der vermeintlich simplen Story nicht nur eine meisterhaft-präzise Hommage an Vorbilder wie „Der eiskalte Engel“, sondern zugleich auch eine eiskalte Dekonstruktion eines ganzen Genres.

    Der Killer wartet auf den Auftrag, bei dem alles schiefgehen wird.

    Der Killer (Michael Fassbender) hat einen Job in Paris zu erledigen. Eine halbe Ewigkeit harrt er in einem leerstehenden WeWork-Büro aus und folgt tagtäglich immer wieder derselben Routine, während er darauf wartet, dass sich sein Opfer endlich blicken lässt. Als der offenbar sehr wohlhabende Mann eines Nachts endlich das observierte Luxus-Penthouse aufsucht, ist der Moment gekommen. Doch die Patrone aus dem Scharfschützengewehr trifft nicht die Zielperson, sondern dessen in letzter Sekunde in die Schusslinie tretende Dominatrix. Der Killer muss seine Spuren verwischen und fliehen.

    Als er in sein Domizil in der Dominikanischen Republik zurückkehrt, muss er feststellen, dass sein Fehler ihn verfolgt – und die einzige Person verletzt hat, die ihm etwas bedeutet. Also packt der Killer erneut seine Sachen und macht sich auf den Weg in die USA, um sich die Verantwortlichen vorzuknöpfen. Damit wirft er eine seiner eisernen Regeln über Bord, dass Jobs niemals persönlich sein dürfen. Seine Regeln „Halte dich an deinen Plan“ und „Antizipieren statt Improvisieren“ sagt er sich dennoch immer weiter wie ein Mantra auf – selbst wenn längst klar ist, dass er auch diese bald wird brechen müssen…

    Niemand will etwas mit deutschen Touristen zu tun haben

    In sechs Kapiteln und einem Epilog folgen wir dem laufend neue Wegwerf-Namen verwendenden Killer – und der dabei gezeigte Rachefeldzug ist bewusst geradlinig und prozedural geschildert. New Orleans, Florida, New York, Chicago – Ankunft, Zielperson ins Auge fassen, einen Weg zu ihr finden, Vorbereitungen treffen, Ausschalten, Spuren verwischen, Abreisen. Auch wenn es im Detail jedes Mal anders abläuft, ist es immer wieder eine Variation ähnlicher Motive. Doch das Herausragende ist, wie Fincher die dabei verwendeten Genre-Tropen auf der einen Seite meisterhaft inszeniert, sie zugleich aber auf die unterschiedlichsten Arten demaskiert und so unterläuft.

    Fincher lässt uns die Monotonie der Tätigkeit des Killers gleich zu Beginn spüren – das Warten auf den richtigen Moment, das Beobachten über Tage hinweg. Konsequenterweise ist Fassbenders Auftragsmörder nicht der Wiedergänger von Alain Delons eiskaltem Engel – auch wenn er ebenfalls meist eine Kopfbedeckung trägt. Sein Fischerhut ist wie das Hawaiihemd und die beige Jacke bewusst unglamourös – ein Outfit abgeschaut von einem deutschen Touristen, weil alle Welt weiß, dass mit denen niemand etwas zu tun haben will. Alles an diesem Killer lässt die Coolness andere Genre-Figuren mit ihren Streichhölzern im Mundwinkeln, stylishen Sonnenbrillen und maßgeschneiderten Anzügen vermissen. Da wird bei McDonalds gegessen, in der Holzklasse geflogen, ein kleiner Kia gefahren – und die nötigen „Arbeitsmaterialien“ kommen aus dem lokalen Baumarkt oder gleich von Amazon.

    Der Killer hat sich seine Lieblings-Verkleidung von einem deutschen Touristen abgeschaut.

    Aus der Comic-Vorlage von Matz hat Fincher weniger die Story als ein wichtiges Erzählmittel übernommen: Die Geschichte von „Der Killer“ entfaltet sich vor allem durch die Off-Erzählung der Hauptfigur. So nehmen uns Fincher und sein „Sieben“-Autor Andrew Kevin Walker mit in die Gedankenwelt des Protagonisten. Erst hier entpuppt sich diese äußerlich so unscheinbare Person als eiskalte Tötungsmaschine – der man trotzdem lange Zeit nicht unbedingt zutraut, auch einer direkten körperlichen Auseinandersetzung gewachsen zu sein.

    Wenn es in der einzigen wirklichen Actionszene des Films dann doch zu einer Schlägerei kommt, ist deren Wirkung ungleich stärker: Die von Stunt-Experte Dave Macomber („Bahubali 2“) erstklassig choreografierte Prügelszene ist unglaublich brachial und wuchtig. Wer nach Action giert, wird erst einmal jubeln. Doch je länger der Kampf zwischen Fassbender und seinem Widersacher (Stuntman Sala Baker) andauert, umso schmerzhafter wird auch das Zuschauen dabei, wie die Kontrahenten alles als Waffe einsetzen, was ihnen in die Hände fällt.

    Der Sound als scharfe Kante

    Nicht nur in dieser Szene subvertiert Fincher die eigentlich trockene Racheerzählung mit einem plötzlichen Humor-Einschub. Auch mit der Tonspur setzt Fincher immer wieder wachrüttelnde Kontrapunkte: Besonders deutlich wird dies, wenn der Protagonist seine Arbeits-Playlist mit ausschließlich Songs von The Smiths anschmeißt. Da hören wir Morrisseys Gesang erst leise in den Kopfhörern, bevor der Song plötzlich zum Soundtrack wird: Eigentlich ein ganz üblicher Einsatz von diegetischer Musik, doch in „Der Killer“ wechselt es nach wenigen Sekunden zurück auf den gedämpften Kopfhörer-Sound. Dann wieder zurück auf den lauten Soundtrack und so weiter – und dies nicht etwa mit fließenden Übergangen, sondern mit harten, messerscharfen Schnitten.

    Diesen Ansatz wählt Fincher nicht nur bei den Songs, sondern auch bei den Umgebungsgeräuschen und dem meisterhaft-hämmernden Score von Trent Reznor und Atticus Ross („The Social Network“). Ganz hart setzen Geräusche ein oder verschwinden plötzlich – je nachdem, was gerade zu sehen ist. Sind wir nah bei dem Killer, nehmen wir nur dessen oft leisen Umgebungsgeräusche wahr – beobachtet er aber zum Beispiel durch sein Zielfernrohr die Menschen unten auf dem Bürgersteig, werden wir plötzlich mit dem lauten Lärm der Straße überwältigt.

    Der Killer hat die Stadt im Blick – und das werden wir auch gleich zu hören bekommen.

    Immer wieder rüttelt Fincher so am Publikum, lenkt dessen Aufmerksamkeit, spielt damit. Dieser unkonventionelle Ton ergänzt sich perfekt mit der meisterhaft-präzisen Inszenierung, die allein schon deutlich macht, dass „Der Killer“ kein B-Movie ist. Jeder Schauplatz hat einen eigenen Look und fühlt sich anders an. Und wenn der Mörder irgendwo zur Tat schreitet oder anschließend Beweismittel zerstört, sitzt jede Bewegung und die Kamera folgt ihm ruhig dabei, zumindest solange er alles unter Kontrolle hat. Aber sobald sich daran etwas ändert, lassen uns das auch Bild und Ton sofort spüren.

    Fazit: Inhaltlich mag „Der Killer“ nicht mehr als ein simples B-Movie zu bieten haben. Aber darauf kommt es bei diesem herausragenden Netflix-Original auch gar nicht an: Mit aufrüttelndem Sound, erstklassigen Bildern und einer unfassbar präzisen Schnittarbeit unterläuft David Fincher immer wieder Erwartungen, während er im selben Moment seinen großen Vorbildern (vor allem von Jean-Pierre Melville) huldigt.

    Wir haben „Der Killer“ beim Filmfestival Venedig 2023 gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs seine Weltpremiere gefeiert hat.

     

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