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    Sweet Girl
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Sweet Girl

    Ein Twist und nichts dahinter

    Von Christoph Petersen

    Im September 2015 ging die Schlagzeile viral, dass das Pharmazie-Start-Up Turing Pharmaceuticals den Preis für das 62 Jahre alte, vor allem bei Krebs- und AIDS-Patient*innen eingesetzte Medikament Daraprim über Nacht anhob – und zwar von 13,50 Dollar auf 750 Dollar pro Pille. Auch die anschließenden Erklärungen von CEO Martin Shkreli konnten die Gemüter nicht beruhigen, ganz im Gegenteil: Seine TV-Auftritte wirkten derart unterkühlt geschäftsmäßig, dass fast zwangsläufig der Eindruck entstehen musste, dass es für ihn keinerlei Unterschied macht, ob er nun mit Kühlschränken oder lebensrettenden Medikamenten handelt. Es ist ziemlich offensichtlich, dass Gregg Hurwitz und Philip Eisner ihr Skript zum Netflix-Action-Thriller „Sweet Girl“ mit einer daraus resultierenden Wut im Bauch geschrieben haben.

    Der fiktive Pharma-CEO im Film, dem es völlig egal ist, wenn er auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung afrikanische und indische Kinder durcheinanderbringt, zählt jetzt jedenfalls schon nach den ersten fünf Minuten von „Sweet Girl“ zu den hassenswertesten Filmfiguren aller Zeiten. Zugleich ist der Skandal um ein kurzfristig zurückgezogenes Krebsmedikament allerdings auch ein einziges Bullshit-Bingo – da wird einfach nur mit aufheizenden Buzzwords wie „Offshore-Konten“ um sich geworfen, aber was genau eigentlich der Plan ist, wird im Verlauf der gut 90 Minuten nie wirklich klar. Das haben die Pharma-Verschwörer*innen übrigens mit Regisseur Brian Mendoza gemeinsam – der weiß abseits seines einen großen Twists nämlich auch nicht so genau, wo er mit seinem Jason-Momoa-Starvehikel eigentlich hinwill.

    Ray (Jason Momoa) scheint kein Problem damit zu haben, seine minderjährige Tochter bei seinem Rachefeldzug mitzuschleppen.

    Als ein vielversprechendes Krebsmedikament in letzter Sekunde vor der Markteinführung ohne jede Begründung vom herstellenden Pharmakonzern zurückgezogen wird, kündigt Kampfsporttrainer Ray Cooper (Jason Momoa) bei einem Anruf in einer Fernsehsendung live an, dass er den verantwortlichen CEO Simon Keeley (Justin Bartha) finden und töten werde, wenn seine schwerkranke Frau Amanda (Adria Arjona) wegen seiner Entscheidung das Zeitliche segnet. Aber genau das passiert…

    Als Ray kurze Zeit später von einem Investigativjournalisten kontaktiert wird, weil hinter der ganzen Sache noch eine viel größere Verschwörung stecken soll, wird der Reporter gleich beim ersten Treffen ermordet – und Ray landet mit einer tiefen Stichwunde im Krankenhaus. Erst 24 Monate später setzt er seinen ursprünglichen Plan endlich in die Tat um – und macht sich gemeinsam mit seiner ebenfalls kampfsporterprobten Teenagertochter Rachel (Isabela Merced) auf, um die Verantwortlichen ein für alle Mal zur Rechenschaft zu ziehen!

    Netflix‘ Ausflug ins Direct-to-DVD-Genre

    „Sweet Girl“ erfüllt all die gängigen Klischees eines Direct-to-DVD-Actionfilms: Dem Profikiller (Manuel Garcia-Rulfo) ist nur wichtig, dass er beim Töten möglichst cool aussieht, weshalb er sich auch aus Prinzip nie schneller als Schrittgeschwindigkeit fortbewegt – und obwohl der Plot überhaupt keinen Sinn ergibt, weiß man als Zuschauer*in trotzdem von Anfang an, wer sich am Ende als Mastermind hinter der Verschwörung entpuppen wird. Nur hätte man in den Händen von Netflix ja eigentlich darauf gehofft, dass dann – wie zuletzt auch schon bei „6 Underground“ oder „Tyler Rake: Extraction“ – zumindest anständig Budget in die Action gepumpt wird. Aber Pustekuchen!

    Abgesehen von einigen Drohnenflügen und einem sträflich wenig genutzten Abstecher in ein vollbesetztes Sportstadion sind die Produktionswerte im Vergleich zu anderen Netflix Originals diesmal doch enttäuschend bescheiden. In den rar gesäten Actioneinlagen geht die Handkamera zwar im „Bourne“-Style ganz nah an das Geschehen ran, wodurch die schiere Kraft von Jason Momoa („Aquaman“) prinzipiell gut zur Geltung kommt – aber obwohl vornehmlich Leute an den Szenen beteiligt sind, die stunttechnisch tatsächlich etwas draufhaben, werden die Fights dennoch unnötig zerschnitten. Am Ende bleibt einem von der Action wohl nichts länger als der Abspann im Gedächtnis hängen.

    Der Auftragskiller Amos Santos (Manuel Garcia-Rulfo) scheint vor allem darauf bedacht zu sein, bloß nicht ins Schwitzen zu geraten...

    Statt der Action bietet also die Beziehung von Roy und Rachel das Herzstück des Films – aber die ist längst nicht so „süß“, wie es der Titel verspricht, sondern im Gegenteil ganz schön schräg: In seinem Racherausch bringt Roy vornehmlich mit einer Feuerwehraxt andauernd Leute um, während seine Tochter nur wenige Meter entfernt steht und entgeistert zuschaut. Sonderlich mitreißend ist der Vater-Tochter-Rache-Roadtrip nicht – zumal die einzelnen Racheziele ziemlich beliebig hergeleitet werden und sich auch die ermittelnden FBI-Agent*innen konsequent wie die letzten Deppen anstellen.

    Am Schluss weiß man dann zumindest so halbwegs, warum Brian Mendoza einige der besonders merkwürdig anmutenden Regieentscheidungen so getroffen hat. Aber selbst wenn man sich an den zentralen Twist im Gegensatz zur Action sehr wohl noch eine Zeit lang erinnern wird, ist er eben trotzdem kein bisschen glaubwürdig. Ein Twist und nichts dahinter – an dieser Kombination sind auch vor „Sweet Girl“ schon viele andere Filme zerbrochen!

    Fazit: „Sweet Girl“ ist durchaus ein Anwärter für das mieseste Skript des Jahres – und Jason Momoa, der hier mit Vollbart noch mal extra bedrohlich anmutet, bekommt erstaunlich wenige Action-Gelegenheiten, um mit seiner beeindruckenden Körperlichkeit noch was rauszureißen. So bleibt am Ende nur der Twist: Der ist zwar auch ziemlicher Quatsch, aber an irgendetwas muss man sich ja klammern…

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