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    Eine fantastische Frau – Una Mujer Fantástica
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Eine fantastische Frau – Una Mujer Fantástica
    Von Christoph Petersen

    Der in Argentinien geborene und in Chile arbeitende Regisseur Sebastian Lelios ist ein Spezialist für starke Frauenfiguren – nicht von ungefähr hat Paulina García 2013 den Silbernen Bären als beste Hauptdarstellerin für ihre herausragende Rolle in seinem politisch aufgeladenen Midlife-Crisis-Drama „Gloria“ gewonnen. Deshalb wundert es auch nicht, dass sein nächster Berlinale-Wettbewerbsbeitrag nun ausgerechnet „Una Mujer Fantástica - Eine fantastische Frau“ heißt. Die Frau aus dem Titel ist die Kellnerin und Hobby-Sängerin Marina (Daniela Vega), in deren Pass noch immer ihr früherer Name Daniel steht. Mit ihrem wohlhabenden, etwa doppelt so alten Freund Orlando (Francisco Reyes) plant sie eine gemeinsame Zukunft, als der 57-Jährige eines Nachts plötzlich mit starken Kopfschmerzen aufwacht und kurz darauf im Krankenhaus verstirbt. Fortan muss sich Marina nicht nur mit den intimen Nachfragen einer Kommissarin (Amparo Noguera) auseinandersetzen, sondern auch mit den Anfeindungen von Orlandos Ex-Frau Sonia (Aline Kuppenheim) und seinem Sohn Bruno (Nicolas Saavedra) – die fordern nämlich nicht nur Auto, Apartment und Hund zurück, sondern wollen Marina am liebsten auch von der anstehenden Trauerfeier ausschließen…

    Die von Newcomerin Daniela Vega großartig gespielte Marina ist eine faszinierend-ambivalente Protagonistin – mal ganz stark, etwa wenn sie Bruno im wahrsten Sinn des Wortes aufs (Auto)-Dach steigt, mal frustrierend, weil sie einfach den Mund nicht aufmacht (Stichwort: Treppensturz), tritt sie doch immer voller Stolz und mit erhobenem Haupt für ihr Recht auf einen Platz an der Seite ihres verstorbenen Partners ein. Ihre Umwelt mag ihre Beziehung zu Orlando als bloße Perversion und Marina selbst als Goldgräberin abtun, aber als Zuschauer spürt man gleich in ihrer ersten gemeinsamen Szene, in der Orlando Marina ein ganz besonderes Geschenk zu ihrem Geburtstag macht, dass die Zuneigung und die Liebe zwischen ihnen absolut echt sind. Marina ist eine starke Frau, die sich nicht unterkriegen lässt und die durchaus weiß, wie sie mit den speziellen Herausforderungen im Leben einer Transfrau umgehen muss...

    … und gerade deshalb ist es auch so unverständlich, dass diese Herausforderungen fast ausschließlich aus wandelnden Klischees bestehen: All jene, die Marina hier offen beleidigen, die sie als „Monster“ oder „Chimäre“ bezeichnen, die nicht wissen, ob sie nun „er“ oder „sie“ sagen sollen, die sie absichtlich bei ihrem alten Namen nennen, die etwas zu laut flüstern, wenn sie hinter ihrem Rücken über sie sprechen – sie alle sind hier so offensichtlich bloßes Mittel zum Zweck, so zweckdienlich konstruierte Karikaturen, dass es einfach nur ärgerlich ist. Wenn Orlandos Sohn Bruno und seine Freunde Marina nach ihrem unerwünschten Auftauchen bei der Trauerfeier kurzerhand kidnappen und demütigen, dann gibt es kaum mehr einen Unterschied zwischen ihnen und den typischen Loser-Rednecks aus einem 70er-Jahre-Horrorfilm. Natürlich existieren solche Typen wirklich – aber so fein säuberlich und gut durchdacht, wie das Arschloch-Kabinett hier bestückt ist, kann man es am Ende kaum noch ernstnehmen. Es ist einfach unfassbar schade, dass eine so echte Frau wie Marina durch eine so konstruierte Welt wandeln muss.

    Fazit: Marina ist tatsächlich eine ganz fantastische Frau – und genau deshalb hätte sie auch einen besseren Film verdient gehabt.

    Wir haben den Film im Rahmen der Berlinale 2017 gesehen, wo „Una Mujer Fantástica - Eine fantastische Frau“ als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wird.

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